Monday, April 25, 2011

Eichmann: Neue Details aus Zürich

Nach längerem und mühsamem Murks erschien in der SonntagsZeitung endlich mein stark gekürzter Artikel zum Avner-Less-Nachlass im ETH-Archiv für Zeitgeschichte.
Eine ausführlichere Fassung finden Sie weiter unten.

 SonntagsZeitung

Nachrichten Schweiz

24. April 2011


Eichmann: Neue Details aus Zürich

Dokumente stützen Schauprozess-These


Ein bisher wenig erforschtes Archiv in Zürich liefert überraschende Details über den Prozess gegen Adolf Eichmann vor genau 50 Jahren in Israel. Hauptmann Avner Less, der für Israels Polizei den NS-Verbrecher verhört hatte, wanderte 1968 in die Schweiz aus und nahm zahlreiche Unterlagen zum Fall mit. 1987 starb er im Zürcher Universitätsspital, sein Nachlass wäre beinahe beseitigt worden. Seitdem liegen die Less-Papiere im ETH-Archiv für Zeitgeschichte. Die Dokumente wurden bisher kaum erforscht, weil man dafür gute Vorkenntnisse zum Fall benötigt und Hebräisch, Deutsch sowie Englisch verstehen muss.

Das Less-Archiv bestätigt zum Teil die berühmte Kritik der Intellektuellen Hannah Arendt, dass Israel letztlich einen Schauprozess gegen Eichmann führte. Die Akten zeigen, dass Less und andere Polizisten im Unterschied zur Staatsanwaltschaft ein normales Strafverfahren führen wollten, in dem nur Eichmann und nicht sämtliche Deutschen auf der Anklagebank sitzen sollten.

So reichte Less dem Gericht wiederholt Dokumente über deutsche Judenretter ein. Fast alle diese Beweisstücke wurden zurückgewiesen. Es gab offensichtlich wenig Platz für «gute» Deutsche — obwohl es so möglich gewesen wäre zu beweisen, dass Eichmann anders hätte handeln können und er nicht gezwungen war Befehle auszuführen, wie er immer behauptete.

Der Less-Bestand offenbart auch ungeschickte Zensurmassnahmen, die dazu dienen sollten, die Entführung Eichmanns aus Argentinien durch einen israelischen Geheimdienst zu vertuschen. Die Notizen von Avner Less bieten zudem einen einmaligen Einblick in die komplizierte Beziehung zwischen dem jüdischen Polizeioffizier und Adolf Eichmann. SHRAGA ELAM


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 Eichmann-Papiere in Zürich
Von Shraga Elam


Am 11. April jährte sich zum 50. Mal der Prozessbeginn des NS-Verbrechers Adolf Eichmann in Jerusalem. Im weltweiten Medienrummel ist untergegangen, dass sich in Zürich - dem breiten Publikum unbekannt - ein sehr wichtiges Archiv des israelischen Polizeioffiziers Avner Less befindet, der Eichmann verhörte. Dieser Nachlass, welcher um ein Haar vernichtet worden war, hilft, ein neues Licht auf das Gerichtsverfahren und auf Eichmann zu werfen.


Nicht nur die Unmengen an Papier machen es den Forschern schwer, sondern vor allem die Tatsache, dass die Dokumente in Hebräisch, Deutsch oder Englisch verfasst sind; denn nur wenige beherrschen alle drei Sprachen und besitzen überdies die nötigen geschichtlichen Vorkenntnisse zum Fall. Die Brisanz der Akten liegt nicht nur im einmaligen Einblick in Echtzeit in die aussergewöhnliche Beziehung zwischen dem ehemaligen Verfolgten (Less) und dem Ex-Verfolger (Eichmann) und in der Umkehrung der Machtverhältnisse, was schon Stoff für ein deutsches Theaterstück , unzählige deutsche Radio- und TV-Beiträge in den 80er-Jahren und einen Spielfilm (2007)  lieferte. Zusammen mit Quellen in Israel ist es beispielsweise möglich, zensurierte Aussagen, sowie Beweise für Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft, über die Prozessführung zu entdecken.

Avner Werner Less, 1916 in Berlin geboren, verliess Deutschland schon 1933, kurz nach Hitlers Machtergreifung. Nach einem Aufenthalt in Frankreich erreichte er 1938 Palästina, wo er in die britische Polizei eintrat. Er spezialisierte sich im Wirtschaftsbereich und konnte seine Karriere nach der israelischen Staatsgründung fortsetzen.

Am 25. Mai 1960 bekam Less den Auftrag seines Lebens: Er sollte als Hauptmann im Rahmen des speziell eingerichteten Büros 06 den aus Argentinien entführten Eichmann verhören. Less' Notizen zeigen auf, wie ihm zumute war: Der israelische Polizist erwartete ein Monster und fand stattdessen einen unscheinbaren und völlig verängstigen Mittfünfziger vor. Der korrekte Polizist entwickelte Mitleid mit dem schrecklichen Verbrecher und bestand darauf, dass der Nazi anständig behandelt werden sollte. Less sorgte beispielsweise dafür, dass Eichmann seine Brille zurück und auch Zigaretten bekam. Wie die israelischen Akten erkennen lassen, war dies keineswegs selbstverständlich und es gab eine heftige Debatte darüber.

Less' Sohn, Alon, der in der Schweiz lebt, meint, dass sein empfindsamer Vater mit seiner empathischen Untersuchungsmethode erfolgreich war. So brachte der Polizeioffizier Eichmann zum Reden, denn dieser fühlte sich mit ihm entspannt und legte darob sogar seinen Gesichts-Tick ab, der später auch im Prozess als Ausdruck seiner Angst zu beobachten war.
Es sieht so aus, dass Less, der in Israel am meisten Zeit mit dem NS-Kriegsverbrecher verbrachte, Eichmann durschaute und merkte, wenn dieser log.
Das Bild Eichmanns, welches aus den Verhör-Aufnahmen und deren Protokollen hervorgeht, beeinflusste die Philosophin Hanna Arendt offensichtlich, als sie den Begriff «die Banalität des Bösen» prägte, um den 'durchschnittlichen Technokraten' zu beschreiben.

Less' Unterlagen bestätigen Arendts Kritik, dass Israel einen Schauprozess gegen Eichmann führte, auch wenn sie mit ihrer Behauptung falsch lag, dass der damaligen Premier David Ben-Gurion diesen Propagandazug zu verantworten hatte. Denn, wie neue israelische Forschungen dies belegen, war Ben-Gurion sogar dagegen und wollte, um die BRD nicht zu verärgern, das Gerichtsverfahren auf kleinem Feuer halten.

Aus den Akten wird ersichtlich, dass Less sowie andere korrekte Polizisten – im Unterschied zur Staatsanwaltschaft – ein normales Strafverfahren führen wollten, in dem nur Eichmann und nicht sämtliche Deutschen auf der Anklagebank sitzen sollte.

Less reichte dem Gericht wiederholt Dokumente ein, welche über Deutsche berichteten, die Juden gerettet hatten. Fast alle diese Unterlagen wurden aber zurückgewiesen. Es gab offensichtlich wenig Platz für "gute" Deutsche. Dies, obwohl es damit möglich gewesen wäre zu beweisen, dass Eichmann anders hätte handeln können und nicht, dass er, wie er behauptete, gezwungen war, Befehle auszuführen.

Der Nachlass weist auch darauf hin, dass die Tonbänder im Nachhinein an zwei Stellen zensuriert wurden. Seltsamerweise wurden diese Aussagen aus den Protokollen aber nicht gelöscht. So kann man erfahren, dass es dabei um Hinweise darauf ging, dass Eichmann von einer israelischen Geheimeinheit aus Argentinien entführt wurde, was Israel damals noch dementierte.

Ein ungelöstes Rätsel bildet Less' Fragenliste für das Tonband 77. Bekannt sind lediglich 76 Tonträger. In Nr. 77 wurden nicht alle Fragen gestellt und das Ganze wirkt sehr lückenhaft. Das vorhandene Gesprächsprotokoll wurde Eichmann auch nicht zur Korrektur und Signierung übergeben. Es scheint, dass er diese Fragen, die alle finanziellen Sachverhalte behandelten, nicht beantworten wollte oder konnte.
Seit 1968 lebte Less mit Frau und Sohn in der Schweiz. Obwohl er in den 80er-Jahren Weltruhm erlangte, blieb er hierzulande fast unbekannt, und sein Nachlass wäre beinahe vernichtet worden. Denn 1987, als Less im Zürcher Unispital im Sterben lag, war der Sohn gezwungen, die Gockhauser Wohnung seines Vaters in grosser Eile zu liquidieren. Die Zimmer waren mit Eichmann-Unterlagen vollgestopft. Zum Glück kam ihm ein Freund zu Hilfe, der eine Verbindung zu Professor Klaus Urner vom Zürcher ETH-Archiv für Zeitgeschichte schaffte. Urner reagierte rasch und rettete im letzten Moment die Papiere, die später aufwendig indexiert wurden. Dank der Finanzierung des US Holocaust-Museums konnten die wertvollen Dokumente letzthin auch noch digitalisiert werden. Dieses Happy End zeigt erneut die Bedeutung des Geschichtsbewusstseins von Nachkommen wichtiger Akteure.
Eichmann: Neue Details aus Zürich

1 comment:

  1. Interesting article, would like to learn more about how Less regarded Eichmann.

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