Sunday, April 26, 2009

Israel - Iran: Doch nicht so spinnefeind

In eckigen Klammern sind Passagen, die keinen Platz in der Zeitung fanden

Sonntag/MittellandZeitnung 26. April 2009

Israel - Iran: Doch nicht so spinnefeind

Die beiden Länder unterhalten seit langem Handelsbeziehungen - ein «Gleichgewicht des Schreckens» besteht bereits

VON SHRAGA ELAM

Wenn sie auf der Bühne der Weltöffentlichkeit stehen, treten sie als «Feinde» auf. Doch betrachtet man die regen Handelsbeziehungen zwischen Israel und Iran, zeigt sich, dass eine andere Realität herrscht.

[Betrachtet man die regen Handelsbeziehungen zwischen den beiden nahöstlichen Ländern, zeigt sich, dass jenseits der gegenseitigen Drohgebärden eine andere Realität herrscht. Über die Geschäfte zwischen den „Feinden“ wird zwar sporadisch berichtet, was aber den Eindruck erweckt, dass dies nur die berühmte Spitze des Eisbergs ist.]

Noch vor zehn Jahren war in der renommierten britischen Zeitschrift «Intelligence Review» zu lesen, dass Israel Waren und Know-how im Wert von mehreren Millionen US-Dollar in den Iran exportiere. Dem «Sonntag» liegen israelische Zolldokumente vor, und diese zeigen, dass in den Jahren 1990 bis 1997 sogar direkter Handel zwischen Israel und dem Iran existierte.

Bis 1996 exportierte etwa der israelische Grosskonzern «Carmel Chemical» mit der Einwilligung der Regierung Chemikalien über Mittelsmänner in Deutschland und der Schweiz in den Iran. Danach wurde auf die Vermittler verzichtet. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma bestätigt dem «Sonntag», dass der Export mindestens bis zu seinem Austritt 2001 fortgesetzt wurde.
Auch Waffensysteme wurden in den Neunzigerjahren mit Bewilligung der Regierung geliefert. Es ging unter anderem um Panzer, High-Tech-Instrumente zur Aufdeckung chemischer Gifte, Gasmasken bis hin zu Substanzen und Know-how zur Herstellung von chemischen Waffen [
(‚Atomwaffen der Armen‘ genannt)].

Das geschah bereits nach dem Iran-Irakkrieg der Achtzigerjahre, als Israel an beide Kriegsparteien Waffen lieferte. Dass israelische Exporte bis heute existiert, beweisen die jüngsten iranischen Meldungen über israelische Zitrusfrüchte, die im Iran zu kaufen sind.
Im Gegenzug importiert Israel seit Jahren Öl und Pistazien aus Persien. Berichte darüber wurden bislang zensuriert, beziehungsweise dementiert. Letztes Jahr veröffentlichte eine zuverlässige israelische Publikation jedoch konkrete Beweise für einen iranischen Öl-Import.

Und im März 2009 diskutierte das israelische Parlament die Frage, ob das Land dem Druck der US-Pistazien-Produzenten nachgeben solle, und den ausgedehnten Import der köstlichen Nüsse aus dem Iran stoppen solle.

Aber auch die Diskussion über die Frage, ob Israel ein möglicher atomarer Angriff von Iran droht, ist nicht mehr so eindeutig mit Ja zu beantworten. Selbst der Militärexperte Yossi Melman, einer der israelischen Scharfmacher und Befürworter militärischer Operationen gegen den Iran, sagte kürzlich, es gebe keine Gewissheit, dass iranische Atombomben überhaupt eine Gefahr für Israel darstellen würden. [Er wolle jedoch der iranischen Führung nicht attestieren, dass sie sich immer vernünftig verhalte.]
Gemäss verschiedenen israelischen Berichten, inklusive jenes des staatlichen Kontrollamtes, bestehe schon heute ein «Gleichgewicht des Schreckens» zwischen den zwei nahöstlichen Ländern, das von beiden Seiten weitgehend respektiert würde. An dieser Situation wird sich auch dann nichts wesentlich ändern, falls Iran tatsächlich in den Besitz von Atombomben käme.
Die islamische Republik setzt ihre volle Zerstörungskraft gegen Israel ohnehin nicht ein, sie überlässt die militärische Auseinandersetzung lieber «Stellvertretern» wie der palästinensischen Hamas-Bewegung oder der libanesischen Organisation Hizballah.

[Die iranische Führung verhält sich viel rationaler als es ihre Unterstützung für die irre Holocaust-Leugnung vermuten lässt. Denn auch mit konventionellen Raketen könnte der Iran, wie auch die affiliierte Hizballah, sehr empfindliche Ziele in Israel treffen.]

[Der Iran könnte mit konventionellen Raketen sehr empfindliche Ziele in Israel treffen.]

[Dort wurden, anstatt beispielsweise mehrere dezentrale Solarkraftwerke, nur einige konventionelle Energieanlagen erbaut. Nur wenige Raketen genügen, um diese auszuschalten und die Stromversorgung des Landes lahmzulegen.]

Viele hochgefährliche Industrieanlagen befinden sich in unmittelbarer Nähe dicht besiedelter Gebiete. Ein einziger Raketentreffer in den riesigen Ammoniaktank in der Nähe von Haifa könnte gemäss einem offiziellen Report den Tod von mindestens 100 000 Menschen verursachen. [Der Ingenieur Shabtai Azriel sieht darin eine existenzielle Gefahr für Israel, die grösser als der US-Atombombenabwurf auf Nagasaki sei, welcher „lediglich“ 70.000 Menschenleben forderte.]


Iran setzte sein Zerstörungspotenzial aber weder im Krieg 2006 zwischen der Hizballah und Israel, noch während der israelischen Militäroperation in Gaza vor einigen Monaten ein. [Ha’aretz glaubt sogar, dass der Iran 2006 mässigend auf Hizballah eingewirkt, und Raketenangriffe auf Tel-Aviv verhindert habe.

Der wichtige Kommentator derselben Zeitung, Aluf Benn, warnt davor, mit der iranischen Bedrohung zu übertreiben. Diese Angstmacherei lasse nur eine militärische Option offen und versetze die israelischen Bürger in Panik vor einem bevorstehenden neuen Holocaust, was wiederum eine Massenflucht provozieren. Damit hätte Ahmadineschad bereits gewonnen, ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben.

Der bedeutende israelische Experte, Prof. Shai Feldman, plädierte schon 1984 für ein Gleichgewicht des Schreckens im Nahen Osten, welches die Stabilität der Region erhöhen könnte. Gemäss Feldman und anderen israelischen Sachverständigen könne das Land auch mit einem atomaren Iran leben. Dafür müssen allerdings noch mehr Sicherheitsmechanismen entwickelt werden, damit kein Spinner auf die Idee kommt, auf den roten Knopf zu drücken. Aus der Sicht der herrschenden israelischen Politik gibt es bei dieser Kursänderung zwei grosse Nachteile: Israel muss offen zugeben, dass es Atomwaffen besitzt und akzeptieren, dass es nicht mehr die einzige Atommacht in der Region ist.]
Die Obama-Administration setzt offensichtlich auf eine diplomatische Lösung des gesamten Nahost-Konflikts und will eine militärische Operation ganz ausschliessen. Laut der israelischen Zeitung «Yediot Achronot» drohe die USA, die finanzielle Unterstützung zu stoppen, falls Israel Iran im Alleingang angreifen werde. Diese Meldung wurde von Washington zwar dementiert, sie zeugt jedoch von einem Umdenken.

[Dieser Wandel wird Israel dazu zwingen, bessere Mechanismen aufzubauen, die das «Gleichgewicht des Schreckens» garantieren. Es müsste dann offen zugeben, dass es Atomwaffen besitzt und akzeptieren, dass es nicht mehr die einzige Atommacht in der Region ist.]

Ein Google-Earth-Bild vom Ammoniak-Tank, welches einer israelischen Sendung im Staats-TV entnommen wurde.

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